4. Konsequenzen der Redeker-Interpretation

Um dem durch die Redeker-Stellungnahme beförderten Eindruck entgegenzutreten, das in der Stellungnahme propagierte  Normverständnis stelle eine Verbesserung im Vergleich zum Status quo dar, sollen nachfolgend die Konsequenzen, die sich aus dem Redeker-Normverständnis ergeben, aufgezeigt werden. Einen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt die nachfolgende Darstellung dabei nicht.

  1. Zu den Folgen des Redeker-Normverständnisses zählt zweifellos, dass die bestehende Reglungslücke, die dazu führt, dass bei einer nicht rechtzeitigen Wahl des nachfolgenden Verwaltungsausschusses Notgeschäftsführer für das Versorgungswerk zu bestellen sind, da dieses andernfalls führungs- und vertretungslos wäre, nicht bestehen würde, da wahlweise § 5 Abs. 1 Satz 3 oder § 6 Abs. 4 so verstanden wird, dass die Mitglieder des Verwaltungsausschusses - bei einem entsprechenden Verständnis von § 6 Abs. 4 [*1] kommissarisch - im Amt bleiben, bis Nachfolger gewählt sind (Rdnrn. 26 f., 30].

    Es erschließt sich allerdings nicht, worin genau der Vorteil liegen soll, wenn das Versorgungswerk von Personen geführt und vertreten wird, die entweder nicht für eine Wiederwahl kandidiert haben oder bei der Wiederwahl nicht die nach der Satzung derzeit erforderliche Dreiviertelmehrheit erreicht haben, die nach der Darstellung des Verwaltungsausschusses auf den Mitgliederversammlungen 2020 und 2021 unabdingbar ist, da sie dem Schutz der Mitglieder dient.

    Über eine demokratische Legitimation aus ihrer früheren Wahl verfügen diese Personen entgegen der Darstellung in der Redeker-Stellungnahme (Rdnr. 32) nicht, denn ihre Wahl legitimiert die Gewählten ausweislich § 5 Abs. 1 Satz 3  für vier Jahre. Nach dieser vier Jahre verbleibt auch keine im Zeitablauf weiter abnehmende Restlegitimation, sondern die Person ist nach dem Ablauf ihrer vierjährigen Amtszeit nicht mehr legitimiert, dass Versorgungswerk zu führen oder zu vertreten. Fehlt es dann an einer Wiederwahl dieser Person in den Verwaltungsausschuss, wurde die nach der Satzung erforderliche demokratische Legitimation von der Mitgliederversammlung nicht erneut erteilt, was einer Bestellung zu Notgeschäftsführern durch die dafür zuständige Stelle (mutmaßlich die Aufsichtsbehörde, möglicherweise auch das Verwaltungsgericht; eine gesetzliche Regelung gibt es nicht) aber nicht entgegenstünde.
  2. Das in der Redeker-Stellungnahme propagierte Satzungsverständnis ist im höchsten Maße undemokratisch. Erreicht keiner von mehrerer Kandidaten die nach der Satzung für die Wahl erforderliche Dreiviertelmehrheit, so führt nicht derjenige, der die meisten Stimmen auf sich vereinigen konnte, bis zur erfolgreichen Wahl eines Kandidaten die Geschäfte des Versorgungswerks, sondern der zuletzt regulär Gewählte. Das mag man bei einem vergleichbaren Stimmergebnis wegen der Erfahrung des zuletzt gewählten Mitglieds noch einen Sinn ergeben, nicht aber, wenn der Herausforderer ein deutlich besseres Ergebnis erreicht hat als der erneut kandidierende Amtsinhaber. Wird beispielsweise ein erneut kandidierendes Mitglied des Verwaltungsausschusses abgestraft und erhält nicht eine Stimme, während der Gegenkandidat 74,99% der Stimmen auf sich vereinigen kann, würde der bisherige Amtsinhaber mit null Stimmen bis zu einer Neuwahl im Amt bleiben. Dies ist weder demokratisch, noch im Interesse des Versorgungswerks.
  3. Das in der Redeker-Stellungnahme propagierte Verständnis der Satzung hätte zur Folge, dass ein einmal gewähltes Mitglied des Verwaltungsausschusses einen erheblichen Vorteil bei allen künftigen Wahlen hätte, bei denen es für eine Wiederwahl kandidiert. Denn für ein einmal gewähltes Mitglied reicht bei allen künftigen Wahlen ein Ergebnis von 25% plus eines Stimme, um sicher im Amt zu bleiben, während für alle anderen Kandidaten die 75%-Grenze gilt.  Wenn selbst die 25%+1-Hürde für das erneut kandidierende Mitglied des Verwaltungsausschusses nicht erreichbar ist, reicht es zu verhindern, dass ein anderer Kandidaten eine Dreiviertelmehrheit erzielt. In der Regel wird dafür die zusätzliche Kandidatur eines weiteren Kandidaten ausreichen, die nicht einmal mit dem sich zur Wiederwahl Stellenden abgestimmt sein muss, da jeder seiner Unterstützer insoweit aus eigenem Antrieb tätig werden kann. Genau wegen dieser Gefahren gab es bei der Mitgliederversammlung 2020 auch erheblichen Widerstand gegen den Satzungsänderungsantrag  des Verwaltungsausschusses, nach dem das Amt eines Mitglieds des Verwaltungsausschusses erst enden sollte, wenn ein Nachfolger gewählt ist. 
  4. Der Vorsitzende des Verwaltungsausschusses hätte es nach dem Redeker-Verständnis von der Satzung zudem in der Hand, nach einer gescheiterten Neuwahl den Status quo für ein Jahr dadurch zu erhalten, dass er die gebotene zeitnahe Einberufung einer außerordentlichen Mitgliederversammlung zwecks erneuter Wahl nicht vornimmt. Bei dieser Gefahr handelt es sich auch nicht um graue Theorie, sondern genau dies ist vorliegend geschehen. Denn obwohl auf der Mitgliederversammlung  2020 kein neuer Verwaltungsausschuss gewählt werden konnte, wurde eine außerordentliche Mitgliederversammlung erst einberufen, nachdem die Wahlen auch auf der ein Jahr später abgehaltenen Mitgliederversammlung 2021 gescheitert waren. Richtigerweise hätte bereits zeitnah nach der Mitgliederversammlung 2020 eine außerordentliche Mitgliederversammlung einberufen werden können und müssen.
  5. Darüber hinaus bestehen erhebliche Bedenken gegen das Redeker-Normverständnis, weil dieses mangels einer zeitlichen Befristung die Gefahr beinhaltet, dass sich die nach § 5 Abs. 1 Satz 3 auf vier Jahre befristete Amtszeit auf unbestimmte Zeit verlängert. Das aber widerspricht dem Sinn und Zweck von § 5 Abs. 1 Satz 3, die Amtszeit zu begrenzen, was ein demokratisches Grundprinzip ist. Diese offensichtliche Konsequenz wird in der Redeker-Stellungnahme interessanterweise lediglich im Fall einer extensiven Interpretation von § 6 Abs. 4 gesehen, wobei die einzige Konsequenz darin liegen soll, dass dann eine Pflicht zur Einberufung einer außerordentlichen Mitgliederversammlung bestehen soll (Rdnr. 37). Bei dem in der Redeker-Stellungnahme präferierten extensiven Verständnis des § 5 Abs. 1 Satz 3 soll es eine entsprechende Pflicht demgegenüber offenbar nicht geben, sodass sich die Amtszeit nach dem Ablauf der in der Satzung vorgesehenen vier Jahre im Fall einer erfolglosen Wahl eines neuen Verwaltungsausschusses jeweils um ein Jahr verlängert. Das ist erkennbar unvertretbar und ist zudem ein weiteres  gewichtiges Indiz dafür, dass das Ziel der Redeker-Stellungnahme darin liegt, den vormaligen Mitgliedern des Verwaltungsausschusses einen Persilschein für die bis heute andauernde eigenmächtige Fortführung der Ämter zu erteilen. 
  6. Durch das Redeker-Normverständnis würde, so wird es in der Redeker-Stellungnahme dargestellt, auch die in der Tat schwer nachvollziehbare Situation vermieden, dass die Mitglieder des Verwaltungsausschusses mit dem Ende ihrer Amtszeit aus dem Amt ausscheiden, um nach der erfolgten Wal von Nachfolgern wieder (kommissarisch) die Geschäfte zu führen, bis die Nachfolger ihr Amt antreten (Rdnr. 30).

    Diese Ansicht beruht auf einer Fehlinterpretation der Satzung. Sind zum Ende der Amtszeit der Mitglieder des Verwaltungsausschusses noch keine Nachfolger gewählt, so sind Notgeschäftsführer zu bestellen. Diese sind während der Dauer der Notgeschäftsführung vollwertige  (Not-)Mitglieder des Verwaltungsausschusses. Damit sind die Notgeschäftsführer aber auch die Mitglieder des Verwaltungsausschusses im Sinne von § 6 Abs. 4, die nach der erfolgreichen Wahl des neuen Verwaltungsausschusses kommissarisch die Geschäfte des Versorgungswerks führen, bis die Nachfolger ihr Amt antreten. 
  7. Das weiter vorgebrachte Argument, die Geschäftspartner des Versorgungswerks könnten über die wahren Vertretungsverhältnisse im Unklaren sein (Rdnr. 30), besteht richtigerweise jederzeit, da das Versorgungswerk nicht registerpflichtig ist.
  8. Darauf hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Tatsache, dass Notgeschäftsführer zu bestellen sind, dem Schutz des Versorgungswerks und seiner Mitglieder dient, indem der Zustand der Führungs- und Vertreterlosigkeit und damit der Handlungsunfähigkeit des Versorgungswerks verhindert beziehungsweise beseitigt wird. Vor diesem Hintergrund ist das in der Redeker-Stellungnahme gezeichnete Bild einer aufoktroyierten Notgeschäftsführung für einen besonnen denkenden Juristen kein Schreckensbild sondern ein Popanz. Richtig ist, dass ein Notgeschäftsführer "keine bessere demokratische Legitimation für sich beanspruchen [könnte], als ein Mitglied des Verwaltungsausschusses, das bis zur Neuwahl eines neuen Mitglieds im Amt bleibt" (Rdnr. 34).

    Ebenso gilt allerdings, dass ein Mitglied des Verwaltungsausschusses nach dem Ablauf seiner Amtszeit nicht mehr legitimiert ist, für das Versorgungswerk zu handeln. Der Vorteil der Bestellung von Notgeschäftsführern besteht in dieser Situation darin, dass deren Tätigkeit auch darauf gerichtet ist, schnellstmöglich für die Bestellung von Nachfolgern durch die Mitgliederversammlung als dafür originär zuständiges Organ zu sorgen - was man im aktuellen Fall der Fortsetzung der Amtstätigkeit durch die zuletzt gewählten Mitglieder des Verwaltungsausschusses nicht feststellen konnte.
  9.  Im Ergebnis liegt das Problem ohnehin nicht darin, dass es keine Regelung für den Fall gibt, dass zum Ende der Amtszeit des Verwaltungsausschusses noch keine Nachfolger gewählt sind. Problematisch ist vielmehr, dass die Regelungen zur Wahl nicht sicherstellen sondern im Zweifel sogar verhindern, dass bei einer rechtzeitigen Wahl mit einer ausreichenden Anzahl an Kandidaten alle vakanten Positionen besetzt werden. Wenn das nach der Satzung erforderliche Quorum von mindestens 100 Anwesenden und/oder die nach der Satzung für eine Wahl erforderliche Dreiviertelmehrheit dazu führen, dass Positionen im Verwaltungsausschuss vakant bleiben, sind diese Wahlregelungen Ursache des Problems. Dieses Problem löst man aber nicht dadurch, dass man Personen, deren demokratische Legitimation abgelaufen ist, ohne zeitliche Begrenzung im im Amt belässt, sondern dadurch, dass die Wahlvorschriften angepasst werden. 

29.03.2022 - außerordentliche Mitgliederversammlung
I. Hintergrund der Versammlung
II. Fehler bei der Einberufung der Versammlung
III. Die Satzungsänderungs- und sonstigen Vorschläge
     1. Satzungsänderungsvorschläge des Dr. Hoff
     2. Meine Satzungsänderungsvorschläge
     3. Satzungsänderungsvorschläge des "Verwaltungsausschusses"
     4. Vorschlag des "Verwaltungsausschusses" zur Einführung einer Vertreterversammlung 
          a) Vorschlag zur Änderung des RAVersG
          b) Vorschlag einer Wahlordnung
          c) Vorschlag zur Änderung der Satzung
IV. Die Redeker-Stellungnahmen zur Dauer der Amtszeit
     1. Hintergrund der Stellungnahmen
     2. Anlass der einzelnen Stellungnahmen
     3. Der Inhalt im Überblick
          a) Erste Variante - extensive "Auslegung" von § 5 Abs. 1 Satz 3 der Satzung
          b) Zweite Variante - restriktive "Auslegung" von § 5 Abs. 1 Satz 3 der Satzung
     4. Konsequenzen der Redeker-Interpretation 
V. Die Redeker-Stellungnahme zu fehlerhaften Beschlussfassungen
     1. Hintergrund meiner Beschwerde
     2. Die Redeker-Stellungnahme
     3. Was ist zu tun?

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[*1] Sofern nicht ausdrücklich anders gekennzeichnet beziehen sich alle nachfolgenden Paragrafenangaben auf die Satzung des Versorgungswerks in der Fassung vom 01.01.2021.