b) Zweite Variante - restriktive "Auslegung" von § 5 Abs. 1 Satz 3 der Satzung

Anschließend wird in der Redeker-Stellungnahme „untersucht“, ob sich das Ergebnis ändert, wenn man § 5 Abs. 1 Satz 3  der Satzung [*1] dahingehend versteht, dass dieser eine genau vierjährige Amtszeit festlegt. Auch dieses „Norm-Verständnis“ beruht auf einer freien Interpretation der Norm und nicht auf deren Auslegung. Es wird als Alternative zur zuvor in der Stellungnahme „untersuchten“ Interpretation der Norm dargestellt, die Amtszeit ende erst, wenn ein Nachfolger gewählt ist (Rdnr. 38), um den Eindruck zu erwecken, in der Redeker-Stellungnahme würden alle denkbaren Auslegungsalternativen berücksichtigt. Dies ist falsch und steht im offenen Widerspruch zu der Darstellung in Rdnr. 22, der zufolge der Wortlaut des § 5 Abs. 1 Satz 3 derart weit sei, dass man quasi alles in die Norm hineinlesen könnte.

Um trotz des im Vergleich zur ersten Variante verkürzten Anwendungsbereichs von § 5 Abs. 1 Satz 3 zum selben Ergebnis zu gelangen, dass die ehemaligen Mitglieder des Verwaltungsausschusses auch über die Dauer von vier Jahren hinaus für das Versorgungswerk handeln dürfen, ist es erforderlich, § 6 Abs. 4 entsprechend weiter zu verstehen. Denn je kürzer die in § 5 Abs. 1 Satz 3 geregelte reguläre Amtszeit ist, desto länger muss denklogisch die kommissarische Amtszeit nach § 6 Abs. 4 sein, um zum selben Ergebnis zu gelangen. Genau aus diesem Grunde liegt der Schwerpunkt der Betrachtung nun darin, ein extensives Verständnis von § 6 Abs. 4 zu propagieren. Konkret soll § 6 Abs. 4 nun dahingehend zu verstehen sein, dass die kommissarische Fortsetzung der Amtszeit automatisch mit dem Ende der regulären Amtszeit beginnt und mit der Übernahme der Geschäfte durch die Nachfolger endet. Das ist zugegebenermaßen eine nicht unübliche Regelung. Für diese gibt es in der Satzung aber keinen Anhaltspunkt.

Eine grammatikalische Auslegung des Wortlauts von § 6 Abs. 4


„Der Verwaltungsausschuss führt nach Ablauf seiner Amtszeit bis zur Übernahme durch den neu gewählten Verwaltungsausschuss die Geschäfte weiter“


führt unweigerlich zu dem Ergebnis, dass der Anwendungsbereich der Norm lediglich den Zeitraum zwischen der (erfolgreichen) Wahl des neuen Verwaltungsausschusses und dessen Amtsantritt betrifft, es also um die Überbrückung einer sehr kurzen Zeitspanne geht, die üblicherweise in Tagen und nicht in Wochen zu bemessen sein wird. Anders kann die Formulierung von der „Übernahme durch den neu gewählten Verwaltungsausschuss“ aufgrund der Verwendung des bestimmten Artikels „der“ (in entsprechender Deklination) grammatikalisch nicht verstanden werden.

Dieses Ergebnis der grammatikalischen Auslegung führt, worauf in der Redeker-Stellungnahme zu Recht hingewiesen wird, dazu, dass das Versorgungswerk führungs- und vertretungslos ist, sofern beim Ende der Amtszeit der Mitglieder des scheidenden Verwaltungsausschusses noch keine Nachfolger gewählt sind (Rdnr. 30). Der Umstand, dass dies kaum gewollt sein kann, verdeutlicht, dass der Satzungsgeber davon ausging, dass die Nachfolger stets vor dem Ablauf der Amtszeit des amtierenden Verwaltungsausschusses gewählt sind. Man mag diese Annahme aus heutiger Sicht nicht nachvollziehen können. Es bleibt aber festzuhalten, dass dieses Konzept bis zur Mitgliederversammlung 2020 funktionierte.

Mithin liegt für den Fall, dass die Amtszeit des amtierenden Verwaltungsausschusses abläuft, ohne dass bereits Nachfolger gewählt sind, eine Regelunglücke vor. Dies war dem seinerzeit noch amtierenden Verwaltungsausschuss auch spätesten 2020 bekannt, was daraus folgt, dass dieser für die Mitgliederversammlung 2020 den Antrag ankündigte , § 5 um einen neuen Absatz 5 mit folgendem Wortlaut zu erweitern:


„Ein Mitglied des Verwaltungsausschusses [...] bleibt bis zu einer Neuwahl oder der Abberufung im Amt.“


Durch diese, vom Verwaltungsausschusses seinerzeit als „Klarstellung“ bezeichnete Erweiterung der Satzung sollte erkennbar die bestehende Regelungslücke im Anwendungsbereich von § 6 Abs. 4 durch die als Korrektur zu § 5 Abs. 1 Satz 3 zu sehende Festlegung geschlossen werden, dass die Amtszeit bis zur erfolgreichen Neuwahl dauert. Andernfalls ergäbe dieser Vorschlag keinen Sinn. Der angekündigte Satzungsänderungsantrag wurde vom Verwaltungsausschuss auf der Mitgliederversammlung 2020 zurückgezogen, als erkennbar war, dass er wegen seiner gravierenden Folgen, über die in der Redeker-Stellungnahme geflissentlich hinweggeschrieben wird, nicht die erforderliche Mehrheit erreichen würde.

Eine Regelungslücke kann man aber nicht dadurch schließen, dass man die bestehende Regelung mit dem Argument, Sinn und Zweck der Norm sei eine lückenlose Reglung gewesen, einfach entsprechend weit auslegt, wie es in der Redeker-Stellungnahme propagiert wird (Rdnr. 30). Wäre dies juristischer Standard, gäbe es keine Regelungslücken, da jeder Normgeber im Normalfall eine lückenlose Regelung anstrebt.

Tatsächlich ist das Vorgehen, die Regelungslücke durch eine extensive Auslegung zu schließen, juristischer Nonsens. Regelungslücken werden nach der juristischen Methodenlehre vielmehr durch die entsprechende Anwendung einer anderen Norm geschlossen, sofern die Regelungslücke planwidrig ist und eine vergleichbare Interessenlage vorliegt. An einer vergleichbaren Interessenlage fehlt es vorliegend aber, denn es ist etwas grundlegend anderes, ob eine Führungslosigkeit für den kurzen Zeitraum zwischen der Wahl der Nachfolger und ihrem Amtsantritt durch eine kommissarische Geschäftsführung des bisherigen Verwaltungsausschusses überwunden wird, oder es um eine potenziell langwierige Führungslosigkeit geht. Die vorliegende Situation verdeutlicht dies eindrucksvoll.


29.03.2022 - außerordentliche Mitgliederversammlung
I. Hintergrund der Versammlung
II. Fehler bei der Einberufung der Versammlung
III. Die Satzungsänderungs- und sonstigen Vorschläge
     1. Satzungsänderungsvorschläge des Dr. Hoff
     2. Meine Satzungsänderungsvorschläge
     3. Satzungsänderungsvorschläge des "Verwaltungsausschusses"
     4. Vorschlag des "Verwaltungsausschusses" zur Einführung einer Vertreterversammlung 
          a) Vorschlag zur Änderung des RAVersG
          b) Vorschlag einer Wahlordnung
          c) Vorschlag zur Änderung der Satzung
IV. Die Redeker-Stellungnahmen zur Dauer der Amtszeit
     1. Hintergrund der Stellungnahmen
     2. Anlass der einzelnen Stellungnahmen
     3. Der Inhalt im Überblick
          a) Erste Variante - extensive "Auslegung" von § 5 Abs. 1 Satz 3 der Satzung
          b) Zweite Variante - restriktive "Auslegung" von § 5 Abs. 1 Satz 3 der Satzung
     4. Konsequenzen der Redeker-Interpretation 
V. Die Redeker-Stellungnahme zu fehlerhaften Beschlussfassungen
     1. Hintergrund meiner Beschwerde
     2. Die Redeker-Stellungnahme
     3. Was ist zu tun?


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[*1] Sofern nicht ausdrücklich anders gekennzeichnet beziehen sich alle nachfolgenden Paragrafenangaben auf die Satzung des Versorgungswerks in der Fassung vom 01.01.2021.