a) Erste Variante - extensive "Auslegung" von § 5 Abs. 1 Satz 3 der Satzung

In der ersten Variante wird § 5 Abs.1 Satz 3 der Satzung [*1] mit dem Wortlaut


"Die Mitglieder [des Verwaltungsausschusses] werden für die Dauer von vier Jahren gewählt"


in Rdnr. 23 dahingehend interpretiert, dass es sich um eine



"[...] Bestimmung einer Wahlperiode in dem Sinne [handelt], dass die Mitgliederversammlung alle vier Jahre über die Neuwahl zu beschließen hat, die Amtszeit der bisherigen Mitglieder des Verwaltungsausschusses aber erst mit der tatsächlichen Neuwahl endet, auch wenn diese Neuwahl später als vier Jahre nach Amtsbeginn erfolgt."


Einfacher geht es natürlich nicht als die Norm, die die Dauer der Amtszeit regelt, so zu verstehen, dass sie genau das Gewünschte beinhaltet, die Amtszeit vorliegend also nicht nach vier Jahren endet, wie es der Wortlaut nahelegt, sondern so lange weiterläuft, bis ein Nachfolger gewählt wurde.

Dieses Normverständnis ist aber nicht das Ergebnis einer Auslegung, auch wenn dieser Eindruck durch die Überschriften "a)  Wortlaut des § 5 Abs. 1 S. 3 der Satzung" und "b)  Systematische und teleologische Aspekte" hervorgerufen wird. Denn bei einer Auslegung wäre zunächst der Wortlaut der Norm darauf zu untersuchen, wie er zu verstehen ist. Das erfolgt aber nicht. Stattdessen werden zunächst weitestgehend fernliegende Verständnismöglichkeiten behauptet, um den Eindruck zu erwecken, der Wortlaut des § 5 Abs. 1 Satz 3 könne nahezu unendlich weit verstanden werden (Rdnr. 22). Von diesen diversen angeblichen Verständnismöglichkeiten wird dann aber keine weiter untersucht. Stattdessen wird ohne jeden Anhaltspunkt in der Satzung einfach das Gewünschte in die Norm hineingelesen (Rdnr. 23), und dieses als ernstzunehmendes Normverständnis dargestellt, das auch mit der Systematik und dem Sinn der Norm vereinbar sei (Rdnrn. 24 ff.). Mit einer juristischen Auslegung hat das nichts zu tun.

Begründet wird dieses Verständnis vom Inhalt des § 5 Abs. 1 Satz 3 damit, dass eine ähnlich klingende Regelung in § 58 SGB IV nach einer Kommentarmeinung als "Wahlperiode" zu verstehen sein soll, und nach einer weiteren Kommentarmeinung zu § 37 SGB IV die Amtszeit der Selbstverwaltungsorgane bei den Sozialversicherungsträgern jeweils bis zum Amtsantritt der Nachfolger andauert, was auch den gesetzlichen Regelungen zu den Rechtsanwalts-Versorgungswerken anderer Bundesländer entspreche (Fußnote 5 zu Rdnr. 23). Warum eine angeblich missglückte Regelung im SGB IV für das Verständnis der Satzung des Versorgungswerks relevant sein soll, erschließt sich nicht. Ebenso wenig, was die gesetzlichen Regelungen anderer Bundländer mit der Satzung des Hamburger Versorgungswerks zu tun haben, zumal sich diese Landesgesetze dadurch von der Satzung unterscheiden, dass bei diesen durch die Wahlvorschriften sichergestellt ist, dass es keine erfolglosen Wahlen gibt. Dann aber stellt sich auch das Problem eines fehlenden Nachfolgers nicht. Beim Versorgungswerk hingegen ist dies gerade nicht der Fall. Vielmehr sind erfolglose Wahlen inzwischen an der Tagesordnung, weil die nach der Satzung erforderliche Dreiviertelmehrheit dazu führt, dass eine Wahl im demokratischen Normalfall, in dem es mehrere Kandidaten für eine Position gibt, faktisch unmöglich ist.

Bei richtigem methodischen Vorgehen scheitert die in der Redeker-Stellungnahme propagierte Interpretation von § 5 Abs. 1 Satz 3 als zeitlich unbegrenzte Amtsdauer bereits an der grammatikalischen Auslegung des § 5 Abs. 1 Satz 3, die unzweifelhaft dazu führt, dass die Amtszeit vier Jahre dauert. Dieser Ergebnis der grammatikalischen Auslegung wird bei der Redeker-Norminterpretation ins glatte Gegenteil verkehrt. 

Die Redeker-Interpretation ist auch nicht mit dem Sinn und Zweck des § 5 Abs. 1 Satz 3 vereinbar, der in der Begrenzung der Amtsdauer zum Schutz des Versorgungswerks und ihrer Mitglieder liegt, denn Demokratie bedeutet gemeinhin "Herrschaft auf Zeit" und nicht "zeitlose Herrschaft".

Im Ergebnis ist die das Kernstück der Redeker-Stellungnahme darstellende Interpretation von § 5 Abs. 1 Satz 3 dahingehend, dass die Amtszeit des Verwaltungsausschusses erst endet, wenn Nachfolger gewählt sind, unvertretbar.


29.03.2022 - außerordentliche Mitgliederversammlung
I. Hintergrund der Versammlung
II. Fehler bei der Einberufung der Versammlung
III. Die Satzungsänderungs- und sonstigen Vorschläge
     1. Satzungsänderungsvorschläge des Dr. Hoff
     2. Meine Satzungsänderungsvorschläge
     3. Satzungsänderungsvorschläge des "Verwaltungsausschusses"
     4. Vorschlag des "Verwaltungsausschusses" zur Einführung einer Vertreterversammlung 
          a) Vorschlag zur Änderung des RAVersG
          b) Vorschlag einer Wahlordnung
          c) Vorschlag zur Änderung der Satzung
IV. Die Redeker-Stellungnahmen zur Dauer der Amtszeit
     1. Hintergrund der Stellungnahmen
     2. Anlass der einzelnen Stellungnahmen
     3. Der Inhalt im Überblick
          a) Erste Variante - extensive "Auslegung" von § 5 Abs. 1 Satz 3 der Satzung
          b) Zweite Variante - restriktive "Auslegung" von § 5 Abs. 1 Satz 3 der Satzung
     4. Konsequenzen der Redeker-Interpretation 
V. Die Redeker-Stellungnahme zu fehlerhaften Beschlussfassungen
     1. Hintergrund meiner Beschwerde
     2. Die Redeker-Stellungnahme
     3. Was ist zu tun?

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[*1] Sofern nicht ausdrücklich anders gekennzeichnet beziehen sich alle nachfolgenden Paragrafenangaben auf die Satzung des Versorgungswerks in der Fassung vom 01.01.2021.